Mutterland, Kiew (2023)
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Gemälde von Nazanin Pouyandeh
Gemälde von Nazanin Pouyandeh

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SCHWITTERS´ Kunst total   

 

 

Zum 100. Jahrestag der Entstehung der Merzkunst von Kurt Schwitters wartet das Sprengel Museum noch bis Anfang Oktober mit einer neuen spannenden Sammlungspräsentation auf unter dem Titel „100 JAHRE MERZ – Kurt Schwitters Crossmedia“.

Mehr als 150 Exponate aus Bildenden Künsten, Architektur und Raumkunst, Literatur und Tonkunst geben Auskunft über das gattungsübergreifende Schaffen dieses in Hannover geborenen und bis 1937 dort wirkenden Künstlers und seine internationalen Geltung. Das auch dank seiner Zeitschrift Merz, die von 1923 bis 1932 erschien und sich intensiv mit Kunstströmungen der damaligen Avantgarden wie Dadaismus und Konstruktivismus auseinandersetzte. Und eben auch die Merzkunst in Europa und den USA bekannt machte. Eine Kunst, die darauf begründet ist, mit Materialen und Medien aller Art, auch dem Weggeworfenen, also Abfall zu arbeiten und daraus Kunst entstehen zu lassen. Abstrakte Bilder, Skulpturen und Installationen, Bild, Text und Ton neu zu komponieren, jenseits traditioneller Werte und konventioneller Ästhetik. Kurz: Merz steht für größtmögliche Freiheit bei der Wahl von Mittel und Methoden des künstlerischen Ausdrucks. 

 

 

Beeindruckt, ja begeistert von der Schau im Sprengel Museum, fühlt sich KUNO als Online-Plattform für Kunst- und Kulturaustausch inspiriert, eine kleine virtuelle Ausstellung zur Merzkunst von Kurt Schwitters anzubieten, als Appetizer, zur Vor- oder Nachbereitung von Kunstaustellungen ganz konkret zu diesem Künstler wie vielleicht auch zum Verständnis von moderner Kunst überhaupt.

Merz leitet sich für Schwitters durchaus, aber nicht nur von Kommerz ab. Sein bekanntes Liebesgedicht auf „Anna Blume“ (1919) bewarb er mit großen Plakaten an Litfaß-Säulen zum Preis von vier Reichsmark. Eine Replik davon ist in der Hannoveraner Schau zu sehen. Und natürlich zeigt KUNO sie auch im Internet, wo man das surreale Dada-Gedicht Wort für Wort nachlesen kann. Daneben gibt es natürlich, auch so ein klassisches Muss einer Schwitters-Ausstellung, seine Klang-Komposition aus Urlauten plus einer sehr lebendigen, witzigen grafischen Visualisierung von Arte Creative (2015), die „Ursonate“ (1923-32), rezitiert vom Künstler selbst.

 

 

 

 

MERZ collagiert, malt, druckt

 

                           und publiziert

 

 

 

 

bildunterschriften_100_jahre_merz.pdf
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MERZ dichtet, plakatiert

 

 

 

 

 

 

 

MERZ komponiert

 

 

 

 

 

 

MERZ baut

 

 

 

 

 

Als Höhepunkt unserer Online-Schau die expressionistisch betitelte „Kathedrale des erotischen Elends“, von Schwitters auch „Grotte“, „Höhle“, „Hort“ oder „Hundezwinger“ geheißen oder eben Merzbau. Eine im Grundriss kleine, hoch aufragende, begehbare Installation, architektonisch so gestaltet, dass sie dem Blick unzählige Perspektiven bietet. Mit einer einzelnen Fotografie ist ihrer Abbildung nicht beizukommen, weswegen hier in der Online-Ausstellung mehr als zwanzig Fotos zu sehen sind.

Die Rekonstruktion, vom großen Ausstellungsmacher Harald Szeemann anhand von drei Fotos Anfang der Achtziger in Auftrag gegeben, dokumentiert, wie wohl der ursprüngliche Merzbau ausgesehen haben könnte, an dem der Künstler jahrelang in seiner Hannoveraner Wohnung gearbeitet hatte. Und später auch noch an weiteren Modellen in den Länder seines Exils, in Norwegen und England.

Der Begriff der Kathedrale könnte es dabei insofern treffen, als hier ein dem Sehen, Schauen, Betrachten geweihter Raum gestaltet wurde. Erotische Architektur also als Möglichkeit der Erfüllung visuellen Begehrens ganz grundsätzlich und keinesfalls enggeführt auf Erotik im pornografischen Sinn. Wobei der Künstler dann noch gewitzt eine ironische Volte schlägt mit der Elends-Vokabel. Die vielleicht auch anspielt auf die Zeiten nach der Weltwirtschaftskrise von 1929. Kunst, so unpolitisch das künstlerische Subjekt auch sein mag, ist jedoch nie ganz politik- und gesellschaftsfern. Auch Kurt Schwitters nicht.

 

Diese drei Fotografien mussten Peter Bisegger bei seiner Rekonstruktion des Merz-Baus 1981-83 reichen
Diese drei Fotografien mussten Peter Bisegger bei seiner Rekonstruktion des Merz-Baus 1981-83 reichen
250º Aufnahme ©Emil Schulthess, Zürich
250º Aufnahme ©Emil Schulthess, Zürich

 

So genial ihre Komposition auch ist, können auch die zwei Totalaufnahmen nicht vermitteln, was in diesem zauberhaften Raum alles gesehen werden kann. Und auch unsere 21 Fotografien reichen nicht hin. Ein Besuch vor Ort lässt sich also nicht vermeiden und ist höchst empfehlenswert.

 

 

 

MERZ im kontext