Einem Künstler, gleich ob er noch unter uns weilt oder schon
woanders, zum 100. Geburtstag zu gratulieren und ihn dabei mit
„provincialis“ anzureden, gehört sich das noch oder ist das schon eine
Provokation? Denn zu schnell übersetzen wir das ja mit „provinziell“
und verleihen dem Ganzen automatisch einen abschätzigen Anstrich
der Rückständigkeit und Unangemessenheit.
Jedoch schon sprachgeschichtlich liegen die Dinge da ein wenig
anders. Was nämlich mit dem lateinischen Provincia ursprünglich
verwaltungstechnisch bezeichnet wurde, beherbergt ja auch eine
Ableitung vom Verb vincere und das heißt auf Deutsch: siegen.
Könnte also dieser Hans Maaß dann nicht auch als Sieger betrachtet
werden? Nicht dass er sich aus besonders ärmlichen Verhältnissen
hat hoch kämpfen müssen. Er ist ein Junge vom Dorf, am Hungertuch
nagt man zuhause aber nicht. Auf das Wohlwollen der Eltern
vertrauend, absolviert er das Gymnasium in Verden. Doch muss er,
der seit frühen Kindheitstagen talentiert zeichnet und malt und
immer nur Künstler werden will, schließlich den – durchaus engagierten
und auch bewunderten – Schullehrer geben. Um sich endlich ab
1965 – und da zählt er schon gut fünfzig Lenze – als Maler einer
breiteren Öffentlichkeit präsentieren zu können. Das zeugt von
Willen, von Energie, auch von Mut und ist zweifellos ein großer
persönlicher Erfolg.
Hans Maaß hat zu seinem eigenen Bedauern Autodidakt bleiben
sollen. Nun ist das ja nicht per se ein Manko. Aber er war von der
Maxime Goethes beseelt, dass Kunst von Können komme. Und sein
Wunsch, zu lernen, zu experimentieren mit neuen Materialien und in
anderen Genres, war eines Künstlers würdig.
Ist es da nicht geradezu widersinnig, seine Kunst mit einem negativ
konnotierten Attribut belegen zu wollen und vielleicht sogar noch des
Akademismus´ zu verdächtigen?! Ihn, der zu seinem eigenen Unglück
nie hat eine Kunst-Akademie besuchen können?! Schließlich auch
noch verhindert durch die Einberufung an die Front.
Hans Maaß ist ein gegenständlicher Maler mit ganz offensichtlich
symbolhaften Tendenzen. Auf den ersten flüchtigen Blick bietet sich
auch eine Affinität zum Hyperrealistischen. Die Präzision seiner
seltsam leblosen Wunderkammer-Landschaften jedoch ist keineswegs
vergleichbar mit jener der von ihm so verehrten alten Meister.
Doch geht es hier denn überhaupt um Realismus und um Meisterschaft
in der naturgetreuen Abbildung von Realien drinnen wie
draußen? Maaß bildet nicht ab. Er ist ein Maler fiktionaler Bildwelten.
Und bei aller ihm immer wieder zugesprochenen Sorgfalt in
der Ausführung ist auch Detailtreue seine Sache nicht wirklich. Ob
Fauna oder Flora, viel ist umwölkt von einer Aura des Artifiziellen, die
den Eindruck einer gewissen Gefrorenheit und Altbackenheit nicht zu
vermeiden versteht. Und doch gibt es auch deliziöse kleinformatige
Insel- und Schiffssujets, die Vorstellungen bloßen Dekors hinter sich
lassen und subtile Maaß-Arbeit offenbaren.
Mit den Kolleginnen und Kollegen, die die Kunstszene aufzumischen
beginnen damals in den Sechzigern und Siebzigern, jenen Joseph
Beuys und Piero Manzoni, kann Maaß sich nicht anfreunden.
Vielmehr werden sie in seinen Kunstbetrachtungen Objekt einer
direkten Polemik. Kann es sein, dass er, dem die Wiener Schule
Vorbild sein soll, mit deren (selbst-)ironischer Attitüde gar nicht
zurechtkommt und auch grundsätzlich für den seit der Romantik
kunstgeschichtlich so wichtigen Ironiebegriff kaum Verständnis
aufbringen kann?
Oder stimmt auch das wieder nicht oder zumindest nicht so ganz?
Denn sucht man nach Spuren des phantastischen Realismus, man
kann sie tatsächlich ausmachen in den Arbeiten von Hans Maaß.
Allerdings, sie könnten auch wiederum leicht übersehen werden,
vertraut man sich zu sehr den raunenden Selbsterklärungsversuchen
des Künstlers an und verfällt seinem Erhabenheitsgestus. Jedoch es
gibt das Skurrile und das Surreale. In vielen seiner Bilder. Denken wir
nur pars pro toto an jene Hand, die den Stiel einer Rose hält, ohne
dass da ein Stiel wäre! So dass die Rosenblüte ohne Halt, doch nicht
ungehalten frei im Raum schwebt. Wie bei Magritte.
Doch auch das wiederum ist nicht der ganze Maaß. Vergessen
werden kann nicht der epigonal anmutende Künstler in seinem
permanenten Fremd- und Selbstzitat. Der uns mit der ihm eigenen
Malerei auch das erfahren lässt, was wir damals im Deutschunterricht
literarisch inhalieren mussten und dann später an der Universität als
„innere Emigration“ und Ästhetisierung kategorisieren lernten. Der
spricht als alter Mann Ende der Neunziger über sein „Triptychon“ von
„stiller Hinnahme eines allgemeinen menschlichen Schicksals, dem
Trost innewohnt“. Verrät der O-Ton seiner Wortwahl Abgeklärtheit,
ja Weisheit oder eine Haltung, einen Stil, auf welchem sich bereits die
Patina eines halben Jahrhunderts abgelagert hat? Das war schon
zuvor nicht wirklich das ästhetisch Andere und kulturell Spannende.
Aber es war natürlich Kunst und nicht immer zweitrangige.
Eine Beschäftigung mit Hans Maaß gibt immer wieder Fragen auf. Ob
seine Arbeiten gefallen oder nicht, das ist Geschmackssache. Doch
wie sind sie einzuschätzen, wie steht es um ihre inhaltliche und
formale Qualität?
Hans Maaß, ein Maler, ein Künstler.
Mich faszinieren viele Bilder von Hans Maaß. Am besten gefallen mir die, die wunderschöne Blumen in der Bildmitte zeigen. Hier seien Werke wie „Das Pendel“, „Die Chrysantheme“, „Lilie“ oder „Das große Blumenbild“ genannt.
Ich versuche am Beispiel des Bildes „Die Chrysantheme“ aus dem Jahr 1990 meinen Eindruck zu erklären. Es findet sich eine sehr detailgetreue Blume in der Mitte, die so echt aussieht, als wäre sie aus dem Garten direkt in das Bild gelangt. Selbst der Wassertropfen vom Befüllen der Vase ist noch nicht getrocknet. Lässt man den Blick nach einiger Zeit ein wenig schweifen, so sieht man weitere faszinierende Gegenstände, Formen und auch Tiere. Wie beispielsweise ein Schmetterling mit einer roten Beere am oberen Rand des Bildes oder Schneckenhäuser, die um die Vase drapiert sind.
Man bekommt das Gefühl, in einem nach oben offenen Raum zu stehen, in dessen Mitte an der Wand eine einzelne Blume arrangiert ist. Links und rechts lassen offene Wände einen Blick in die Welt nach „draußen“ zu. Diese Welt „draußen“ mutet, beachtet man zunächst nicht den Kommentar des Malers, etwas skurril an. Am linken Bildrand befindet sich eine antike Architektur mit Säulen und Gebäuden in dunklen Farben gehalten. Am rechten Bildrand befindet sich eine Naturlandschaft mit Bäumen in Grüntönen gehalten.
Als weiteres prächtiges Bild ist „Das große Blumenbild“ aus dem Jahr 1981 zu nennen. Ein wunderschöner, opulenter, bunter Blumenstrauß, der aus einer Vielzahl von Blumen besteht, besticht durch die Leuchtkraft der Farben und der detailgetreuen Blumen. Sie bilden das Zentrum des Bildes und blühen aus der Ruine eines antiken Gebäudes heraus. Der Hintergrund ist wieder in dunklen Farben gehalten, bietet dem Auge des Betrachters jedoch eine Menge Details, die viel Raum zu Interpretationen lassen.
Mich fasziniert an diesen Bildern die Harmonie zwischen den Blumen und dem Umfeld. Die Farben und die manchmal doch auf den ersten Blick etwas befremdlich anmutenden Formen haben eine angenehme Beziehung zueinander. Man hat nicht den Eindruck, dass auch nur ein kleines Detail störend wirkt.
Für mich war Hans Maaß ein großer Maler.
Eine Beschäftigung mit Hans Maaß, sagten wir gerade, gibt immer wieder Fragen auf. Ein Beispiel: die Gouache einer nackten Frauenfigur, die von einem Stab anal penetriert, ja vollkommen durchbohrt wird. Diese „Gaia“
(1974) leidet keineswegs darunter, bewegt sich geradezu tänzelnd
trotz (oder wegen?) des Rohres in ihrem Unterleib. Ihre
Leichtfüßigkeit: Ausdruck von Frohsinn – was der Titel nahelegt –,
von Lebens- und Liebeslust ganz im Einklang mit den Utopien der
sexuellen Revolution jener Zeit? Oder von nicht unbedingt
reflektierten erotischen Projektionen? Oder ist es doch eher eine
zutiefst konventionelle, männliche Verballhornung?
Jedoch: Jenseits aller Fragen und vielleicht auch Fragwürdigkeiten –
dieser Mann aus der niedersächsischen Provinz produziert ganz
Anderes als jenes tausendfach Gesehene provinzieller Sonntagsmalerkreativität – links ´ne Birke, rechts ´ne Kuh.
In diesen Landen aufgewachsen, mit diesen letztlich unauflöslich verwachsen, reichen der Ehrgeiz von Hans Maaß, seine Interessen, sein
Blick, seine Hand und seine ganze Arbeit doch nach ganz woandershin.
In jene „Ferne, die mich immer anzog“.
Den 100. Geburtstag mit einem Katalog zu begehen, der dem
umfangreichen und variablen Schaffen des Künstlers Rechnung trägt,
wäre sicherlich angemessen gewesen. Aus kunsthistorischen
Gründen, aus kulturpolitischen für die Region. Und um den Künstler –
auch in seiner Heimat – vor dem Vergessen zu bewahren.
Kultur im Norden – KUNO möchte mit dem vorliegenden, im Umfang
sehr bescheidenen e-Katalog in diesem Sinne wirken. Stichwort
kulturelle Nachhaltigkeit.
September 2014 Paul Kroker
Neu herausgegeben 2019 von Kultur im Norden - KUNO
Hans Maaß (* 9. November 1914 in Bremen; † 2. August 2000 in Langwedel) war ein norddeutscher Maler.
Hans Maaß wuchs im ländlichen Langwedel (im südöstlichen Großraum Bremens gelegen)als Sohn eines Zigarrenarbeiters auf. Von 1925 bis zum Abitur im Jahre 1934 besuchte er das Domgymnasium Verden. Aus finanziellen Gründen war es ihm nicht möglich, ein Kunststudium zu beginnen. Er studierte an der Pädagogischen Hochschule in Kiel, wurde Lehrer und anschließend Soldat. 1945 kehrte er nach dreimaliger schwerer Verwundung nach Verden zurück, wo er sich im Selbststudium mit der Malerei beschäftigte und zugleich als Kunsterzieher tätig war.
Nach zwanzig Jahren des künstlerischen Arbeitens trat er als Maler 1965 erstmals mit bildnerischen Arbeiten an die Öffentlichkeit; es folgten größere Ausstellungen in Wien, München, Bonn, Hannover und in der Umgebung seiner Heimat. 1972 zog er von Verden nach Langwedel-Daverden und kehrte damit zurück in die Landschaft seiner Kindheit, wo er am 2. August 2000 im Alter von 85 Jahren starb und auf dem Friedhof in Langwedel-Daverden beigesetzt wurde.
Aus Anlass seines 100. Geburtstages findet vom 30. September bis 24. Oktober 2014 in der Hauptstelle der Kreissparkasse Verden, Ostertorstr. 16, in 27283 Verden(Aller) eine Ausstellung seiner Werke statt.
Unabhängig von zeitaktuellen künstlerischen Richtungen verfolgte Hans Maaß seinen eigenen Weg, wobei er in der Technik der Ölmalerei die Perfektion der „Alten Meister“ anstrebte, ausschließlich gegenständlich malte und vor allem durch die Komposition der Bildgegenstände – antike, idealtypische, aber auch heimatliche Landschaften und Gebäude, Gesichter, Hände und (Selbst-)Porträts, Blumen (besonders Lilien, Chrysanthemen, Sträuße), Malutensilien, symbolhaft eingesetzte Werkzeuge („Pendel“) und persönliche Erinnerungsstücke (z.B Erkennungsmarke aus der Zeit als Soldat) – den Betrachter zur Auseinandersetzung herausforderte und eine bis ans Surreale heranreichende Bildwirkung erzielte.
Medien
Danksagung
Der Titel von Ausstellung und Katalog verdankt sich einer Anregung von Heinz-Dieter Gerkens, dem langjährigen Freund von Hans Maaß.
Für die Bereitstellung von Vorlagen zur Reproduktion zu Dank verpflichtet: Ute Rabing, Heinz-Dieter Gerkens und der Website http://www.sessemi.de/Hans-Maass/.
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Tanja Kolinko (Montag, 29 September 2014 21:15)
WUNDERSCHÖN!!! Großartiger Künstler!
Raúl & Anita (Freitag, 07 November 2014 13:01)
Gracias Maestro!!!
Du hast wirklich eine gute Mischung zwischen Kurator, Künstler, Kunstkritiker und Germanist. Das macht deine Reden besonders vielschichtig, interessant und überzeugend. Glückwunsch!!!
Holger Reuter (Samstag, 29 Dezember 2018 12:57)
er war mein Klasenlehrer,und ich habe so manchen Nachmittag mit ihm verbracht und so herrlich stundenlang mit ihm geredet.Er hat mir als kleines Dankeschön einen Druck von der Lilie signiert und geschenkt.