Mutterland, Kiew (2023)
Mutterland, Kiew (2023)
Gemälde von Nazanin Pouyandeh
Gemälde von Nazanin Pouyandeh

KUNO-Newsletter

kulturimnorden@gmail.com 



 

 

"Selbsterkenntnis im Medium des Wassers" Bill Viola

 

 

Bereits in den 1970er Jahren regt sich das Interesse des Künstlers an grundlegenden Fragen unserer Existenz wie den Beziehungen zwischen sichtbarer und unsichtbarer Welt, den Wahrnehmungsmechanismen der Netzhaut und Erkenntnismöglichkeiten von Wirklichkeit überhaupt. Und das zeigt sich auch schon in seiner künstlerischen Arbeit.

 

So erscheint und entschwindet auch wieder im Video „The Reflecting Pool“ (1977-1979) der Körper eines jungen Mannes, dessen Bild beim Sprung ins Wasser für eine gewisse Zeit in der Luft eingefroren wird und sich dann in Nichts auflöst, während das Wasser sich bewegt und mitunter den Eindruck vermittelt, als schwimme da jemand. Personen tauchen auf am Rande des Pools, aber ausschließlich als Reflexe auf der Wasseroberfläche.

 

Und das ist längst nicht alles und verlangt beim Betrachten vollste Aufmerksamkeit auf das ununterbrochene Spiel von Erscheinen und Entschwinden.

 

 

1979THEREFLECTINGPOOLbyBillViolafromRevista Amartillazos on Vimeo.

 

 

Und das ist längst nicht alles und verlangt beim Betrachten vollste Aufmerksamkeit auf das ununterbrochene Spiel von Erscheinen und Entschwinden.

 

Und mit diesem Video sind wir bei dem dominierenden Element im Werk Bill Violas, dem Wasser. 

Sein unstillbares Interesse daran gründet sich,so der Künstler, auf einer Erfahrung aus Kindheitstagen, als er sechsjährig in einen See sprang und noch gar nicht schwimmen konnte. Viola schildert, wie er, auf dem Boden des Sees sitzend, eines schier umwerfenden Ereignisses gewahr wurde: nämlich der Empfindung von Schönheit und Glückseligkeit. Denn der kleine Junge durfte bislang nie Gesehenes, zumindest nie so Gesehenes visuell erleben: Tiere, Pflanzen, Farben und Licht. Und immer wieder ist es dieses Ur-Erlebnis, das Viola beschwört. Und nie verspürt man bei seiner Erzählung irgendwie etwas Dramatisches oder gar Traumatisches. Nur, wenn er von der übergroßen Hand seines Onkels spricht, die allerdings zieht ihn aus dem Wasser und ist im wahrsten Sinne des Wortes eine rettende Hand. Aber hören und sehen wir den Künstler im Video dazu.

 

Der Künstler und Florenz

 

 

Von März bis Juli 2017 wird im Florentiner Palazzo Strozzi eine große Ausstellung des unbestrittenen Maestros der zeitgenössischen Videokunst präsentiert: „Elektronische Renaissance“. Und am 2. Juni eröffnet unter dem eher schlichten Titel „Installationen“ eine eindrucksvolle Schau Bill Violas in den Hamburger Deichtorhallen.

 

Just in Florenz hatte in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts die Karriere dieses Künstlers begonnen.

 

Als er 1974 seine Arbeit als Video- und Ton-Künstler im Atelier von art/tapes/22 in der Stadt am Arno aufnimmt, erfährt er, dass Kunst irgendwo in jeder Ecke dieses einzigartigen urbanen Ensembles zu finden ist: auf den Plätzen, in den Kirchen und Kapellen, in den Gärten und selbst bei den Votivschreinen. Und keineswegs etwa nur bei den Hauptattraktionen wie dem Dom und dem musealen Zentrum, den Uffizien.

 

Und Bill Viola entdeckt die weltberühmten Maler und Bildhauer der Renaissance und auch des folgenden Manierismus, wofür zwei Namen für die Vielzahl an Künstlern und Talenten stehen nämlich Michelangelo und Pontormo. Fasziniert von diesem künstlerischen Reichtum vergangener Zeiten, ist der junge US-Amerikaner aber zugleich immer auch der Gegenwart und ihren rasanten Entwicklungen verschrieben. Anfang/Mitte der 70er, in einer Epoche extremen Experimentierens kann Viola sich damals allerdings nur einer noch sehr rudimentären Technologie bedienen, in der sich allerdings eine vielversprechende Zukunft anzukündigen schien.

 

Begeistert von Kunst und Kultur der Zeit der Medici, galt Bill Viola als damals noch unbekannter Künstler in der Szene um Nam June Paik, Chris Burden und Gino De Dominicis als der „amerikanische Techniker“, der ihnen nicht unbedingt künstlerisch, sondern eher technologisch orientiert vorkam.

 

Schon damals jedoch versucht Viola Beides zu einer ersten ästhetischen Synthese zu führen, wenn er nämlich in den Kirchen von Florenz deren spezifischer Klangwelt nachspürt und mit seinem Aufnahmegerät einzufangen sucht.

 

 

Alte Gemälde, so der Künstler, seien für seine Arbeit bloß ein Ausgangspunkt; nicht an einer Kunst der Aneignung oder der Parodie sei er interessiert. Die großen Vorgänger wolle er attackieren, in den Körper ihrer Bilder eindringen, in ihnen leben können, sie atmen hören, ihre spirituelle Dimension wahrnehmen. Dabei sei der visuelle Aspekt zweitrangig. „Ich wollte zu den Wurzeln, den Quellen meiner Emotionen und auch meines eigenen expressiven Schaffens.“ Dies sei in den Zeiten seines künstlerischen Reifeprozesses, in den siebziger Jahren, aber geradezu verpönt gewesen.

 

Seine ganze Lebenserfahrung bestätige ihm immer wieder, so Bill Viola, sein Gefangensein im Angesicht der gewaltigen Kraft der Gefühlswelten. Das reiche ja viel tiefer als all jene Sentimentalität, vor der früher, nicht zu Unrecht, gewarnt worden sei.

 

Vor dem Hintergrund eigenen Erfahrungen und Wahrnehmungen sowie seiner tiefgehenden Auseinandersetzung mit östlicher wie westlicher Spiritualität und Religionen erforscht Viola die Menschheit, das Menschliche schlechthin. Und Protagonisten seiner Werke sind Menschen, Frauen und Männer, als Individuen oder im Kollektiv, ihre Körper, Gesichter und Hände, ihre Mimik und Gestik.

In einer geradezu dramatischen Interaktion mit dem Protagonismus der Natur und ihren Elementen, mit Wasser und Feuer, mit Erde und Luft. Mit Licht und Dunkelheit. Im ewigen Kreislauf von Leben und Tod und Wiedergeburt.

Als Renaissance eben. Und da ist schon mal ein Zitat erlaubt.

 

 

 

Ein Leitmotiv seines Schaffens – so die italienische Kunstkritikerin Manuela Gandini – sei die Auseinandersetzung mit dem Tod im steten Einklang mit Formen der Auflösung oder auch mit einer Sublimation der Todesdramatik. Der Ausweglosigkeit, dass wir uns als „Passanten auf diesem Planeten unausweichlich dem Flusse Styx nähern“ müsse Viola zufolge das Bewusstsein von einer aktiven Präsenz in der eigenen Lebenszeit sein. Das als Alternative gegenüber der Gleichgültigkeit einer selbstzerstörerischen und selbstverliebten Menschheit. Weshalb wohl in seinen Arbeiten immer auch eine ethische Botschaft eingewebt ist. Denn „wo die Menschen die Fähigkeit eingebüßt haben, unterscheiden zu können zwischen Gut und Böse“, so Viola, „ist Ästhetik bedeutsam, Ethik aber unerlässlich.“

 

Nicht unerheblich ist es für aufmerksame Betrachter zu erfahren, wie dies in der künstlerischen Praxis von Bill Viola dann tatsächlich aussieht. Ein gutes Beispiel dafür gibt das Produktionsvideo zu "Martyrs (Earth, Air, Fire, Water)", einer Auftragsarbeit für die St.Paul´s Cathedral in London.

 

Deutlich wird dabei, wie dramatisch es schon für die vier Performer sein kann, den vier Elementen ausgesetzt zu werden. Wenn auch nur im Spiel, auf dem Set und auch nur in so begrenztem zeitlichem Rahmen. Aber sie spüren die Naturgewalt von Erde, Wind, Feuer und Wasser am eigenen Körper, es ist mehr als ein symbolisches Martyrium. Weiterhin werden damit Leid und Tod wegen religiösen oder politischen Glaubens aufgerufen, in der Antike wie in der Jetztzeit. Weitere Stichworte sind wohl überflüssig, um zu verstehen, was der Künstler mit ethischer Dimension intendieren könnte.

 

 

 

Und dann: Video-Poesie auch anders

 

"In Zeitlupe in The Quintet of the Astonished (2000) können selbst die kleinsten Veränderungen der sich langsam entfaltenden Gesichtsausdrücke der fünf gezeigten Akteure wahrgenommen werden. Die Videoinstallation gleicht einem lebendig gewordenen Gemälde und zitiert – wie viele andere Arbeiten des Künstlers auch – die großen Meister der Renaissance." (Fanny Hauser)

 

Interessant nun, wie in der Performance zehn Jahre später(rechts) Differenzierungen bei den einzelnen Akteuren wahrzunehmen sind. Der Effekt beim Publikum bleibt wohl in keinem Fall aus. Auch bei diesen Arbeiten bezieht sich Viola auf die großen Künstler der Vergangenheit, denn er wolle das zeigen, "was sie nicht gemalt haben." Wenn das keine Kunst des Zitats ist! Chapeau, Maestro!

 

 

Zu dieser seiner Arbeit von 2012 erläutert der Künstler:
„Zwei Frauen, aus zwei ganz verschiedenen Phasen ihres Lebens, treffen auf ihrer Lebensreise nur für einen ganz kurzen Moment, einen Augen-Blick, zusammen und gehen danach existenziell gestärkt jede ihren Weg weiter, die jüngere mit dem fast unmerklich vermachten Erfahrungsschatz der Älteren."

 

 

Link zur Webside


Seit den Anfängen der Videokunst in den
Sechzigern des letzten Jahrhunderts – in
Deutschland stehen dafür v.a. Nam June Paik
und Wolf Vostell – hat sich dieses Genre zu
einem ganz bedeutenden innerhalb der Welt der
Künste des 20.und 21. Jahrhunderts entwickelt.
Im Rahmen der digitalen Revolution sind Foto-
grafie und Videokunst in weite Bereiche der
Gesellschaft vorgedrungen, wobei sich viel
öfter und grundsätzlicher die Frage danach
stellt, ob ein noch so schräges privates Video
oder Foto etwa oder vielleicht schon Kunstwert
hat. Auch zeigt die Wirklichkeit, dass dies
auf die Millionenmasse von Musikvideos so
wenig zutrifft wie auf 99,9% der Selfies,
denen eben kein ästhetischer Wert im Sinne
eines kunstvollen Portraits zugesprochen
werden kann.

Auf den großen Kunstmessen und -ausstellungen
dominierten einst in der Regel entweder
Arbeiten im Stile des Dokumentarfilms oder
aber hermetische und in sich verschlossene,
die alle zwar trotz ihrer Langeweile im Kunst-
betrieb als wertvoll gehandelt werden, wobei
die Frage ihrer Ästhetik gar nicht erst
aufgeworfen wird.

Die kann dagegen bei den international
bekannten und bewährten Künstlerinnen und
Künstlern stets nachgeprüft werden. Bei
Pipilotti Rist aus der Schweiz mit ihrer
Ironie und ihrem Flower-Power-Charme. Oder bei
Matthew Barney (USA) mit seinen aufwändigen
filmähnlichen Produktionen surrealistischen
Stils.
Und natürlich gilt dies ohne Vorbehalt
ebenfalls für Bill Viola.

 

 

Kuratiert von Paul Kroker, Mai 2017,

 partiell überarbeitet August 2022

 

 

Presse/Medien 2017

 

24.06.2017

                                                             31.05.2017

Mehr: Bitte auf Logo und Text klicken

Kommentare: 0