Mutterland, Kiew (2023)
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Gemälde von Nazanin Pouyandeh
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SPEKTRUM 2024

Foto auf dem Handzettel zum Tanztheater: Jörg Landsberg
Foto auf dem Handzettel zum Tanztheater: Jörg Landsberg

 

SPEKTRUM 2024 - anders

 

in neuen Räumen

 

Videostills: KUNO

 

In der Kunsthalle Bremen führt das Theater Bremen mit seiner Tanzsparte Ende August/Anfang September in diesem 2024 ein besonderes Kunstprojekt vor: Spektrum / Raum von Máté Mészáros und der Tanzkompanie Unusual Symptoms in Zusammenarbeit mit dem Videokunst-Kollektiv Urbanscreen. Ein Projekt, das mit Spektrum schon 2019 im Kleinen Haus des Theater Bremen das Wechselspiel zwischen Körpern, Raum und Licht auf die Bühne brachte (s. weiter unten). Nun wird diese Arbeit in die musealen Säle der Kunsthalle übertragen. „Raumfüllende Projektionen geben leeren Ausstellungsräumen eine überraschend neue Gestalt, während die Choreografie im Dialog mit verschiedenen Orten des Museums in ihrer skulpturalen Qualität erfahrbar wird“, heißt es in der gemeinsamen Ankündigung der beiden bedeutenden Kulturinstitutionen der Stadt. 

 

Foto: Jörg Landsberg

 

Zunächst einmal die eher geläufigen performativen Aktivitäten der Unusual Symptoms im großen Saal mit dem raumgreifenden abstrakten Wandbild von Sarah Morris mit seinen leuchtenden Farben und rechtwinkligen wie bogenartigen Strukturen. Hier treten sie im Solo, als Duo, Quartett und schließlich auch als Gesamtformation auf, besonders einprägsam dann, wenn der Tanz in seinen Bewegungen die Bildstrukturen der Wände kontrastiert. So beginnt der Abend, so endet er, nicht zu vergessen die dramatische Soloeinlage des jüngst zurück gekehrten Ensemblemitglieds Aaron Samuel Davis, dem in anderem Saal manch ironisch verschmitztes Lächeln glückt.

 

Spannend und abwechslungsreich gleichfalls die von Urbanscreen videomäßig ausgeleuchteten und belebten Leerräume des Museums, die für uns, die wir das Projekt 2019 im Kleinen Haus des Theaters schon erleben konnten, ein besonderes Erinnerungspotenzial bieten. Dazu mehr in den Beiträgen weiter unten. 

 

Fotos: Jörg Landsberg

 

 

Lange nachwirkend bleibt ein tanztheatraler Vortrag, wenn im musealen Raum zu Handelsgeschichte und Kunst der Kolonialzeit unter dem Frachtschiff Cui bono von Hew Locke (2017) eine Performance von Csenger K. Szabó per Körper und schwarzem Haarschopf eindrucksvoll Wellenbewegungen des Ozeans, Arbeitsrhythmen von Matrosen, dramatischen Seegang und vielleicht katastrophale Havarie aufruft.

 

Und kein Zufall ist es wohl, sondern eher volle choreografische Intention, dass sich die Tänzerin Ulrike Rachel-Reinbott für einen ihrer Soloauftritte in die Nähe von Günther Ueckers New York Dancer III (1965) positioniert und diesen nagelstachligen Phallus konterkarierend umtanzt mit einem Ausdrucksspektrum von antiker Schauspielgebärde bis zum leidenschaftlichen Körpereinsatz mit wiederholt klatschendem Aufprall auf dem Boden.

 

 

                          Fotos: KUNO

 

Gleichfalls ein beachtlicher dramaturgischer Einfall ist die Kombination des Zusammenhangs von Musik und Tanz mit der wandgreifenden Fotografie von Katharina Sieverding, die ein von Messern bedrohtes Gesicht zeigt sowie den Schriftzug Deutschland wird deutscher (1992). Das alles sehen wir allerdings nur vor oder nach der Performance, weil dem Publikum der Zugang in den kleinen Raum durch das Schlagzeug versperrt ist, an dem der Musiker Áron Portelecki zu einem Solo ansetzen wird, begleitet von seiner großartigen Soundkulisse aus den Lautsprechern. Der Warnruf der Künstlerin gegen Nationalismus und Rassismus in den Neunzigern ist von geradezu drastischer Aktualität, bleibt hier an der Wand für einen Moment eher nebensächlich, während sich der Tänzer Andor Rusu fast unterwürfig woyzeckhaft wie ein Looser in den großen Raum schiebt und als geschundener Leib durchs Publikum kriecht, sich am Boden windet, an diesem klebend und ihm existenziell mehr verbunden als etwa der Möglichkeit eines aufrechten Ganges. 

 

Fotos: KUNO

 

 

Abschließend vielleicht noch der ästhetisch höchst sinnvolle wie auch pragmatische Hinweis ans Publikum auf dem Handzettel:

 

Bei Spektrum/Raum gibt es kein richtig oder falsch. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Spektrum/Raum passiert gleichzeitig an verschiedenen Orten im Museum. Nehmen Sie sich Zeit. Folgen Sie Ihrer Neugier. Lassen Sie sich von den Tänzer:innen leiten. Lassen Sie sich von den Klängen in verschiedene Räume locken. Oder bleiben Sie, wo Sie sind, und warten ab, was passiert.

Erleben Sie den Sound. Lassen Sie die Stille zu. Lassen Sie die Echos der Bewegungen, Bilder und Klänge auf sich wirken.

Akzeptieren Sie, etwas zu verpassen. 

 

Schließlich ist das hier ja kein Stresstest, sondern eine die ganze Person involvierende Kunstaktion bei absolut unaufdringlichen Angeboten zur Partizipation, frei von Sensationsgeilheit und konzentriert auf Sinnlichkeit und Vergnügungen, wie sie Bertolt Brecht versteht. Und bei all dem können wir in der Tat viel erleben – und natürlich auch verpassen.

 

Was Interessierte am "Zusammenspiel von Tanz und Museum" nicht verpassen sollten, ist hier unten verlinkt:

 

 

Epilog 

 

Rezension zur ersten Ausgabe von Spektrum 2019 

Spektrum im Kleinen Haus des Theater Bremen, eine tolldreiste Tanztheaterproduktion, fordert Publikum und Kritik heraus. Und die feiert gerade richtig ab mit verbalen Kraftakten, die sich dann doch auf so etwas wie einen nominalen Superlativ einigen: ein "Gesamtkunstwerk" ist's... 

Mehr per Klick aufs Bild

 

 

01.09 .2024                                                                                                                   Paul Kroker

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Franca (Dienstag, 03 September 2024 08:17)

    Very evocative, expressive, theatrical in the best sense of the term.
    And KUNO's photos are very beautiful.