Mutterland, Kiew (2023)
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Gemälde von Nazanin Pouyandeh
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Der schwarze Mönch

von Kirill Serebrennikov / nach Anton Tschechow / Regie Kirill Serebrennikov 

am Thalia Theater in Hamburg, 2022

Foto Krafft Angerer
Foto Krafft Angerer

 

Auf die Frage, worum es bei dieser Arbeit gehe, antwortete der Regisseur einmal:

"Wie können wir Strategien des Überlebens finden? Durch Arbeit? Durch Liebe? Durch Kunst? Es ist die faszinierende Geschichte von einem Mann, der verrückt wird an seiner Art eines Doppellebens."

Wie er das erzählen wolle? 

 "Es wird eine Art von  poetischem Thriller und natürlich würde ich es gerne mit Video, mit Life-Musik und Operngesang machen."

 

Wer möchte, kann sich hier unten zunächst mal den deutschen Text der Novelle Anton Tschechows anhören:

 

 

Doch auch mit einer kurzen Zusammenfassung des Textes schon können wir vielleicht einen Eindruck gewinnen, was Kirill Serebrennikov wie mit und aus dem Text Tschechows gemacht hat: "Ein Rondo mit opernhafter Üppigkeit aus Schauspieler:innen, Sängern, Tänzern", so nachtkritik.de. Und das entspricht kongenial dem ästhetischen Konzept dieses Künstlers, "eines entgrenzenden Gesamtkunstwerkers, der in seinen Arbeiten oft das Crossover von Schauspiel, Körper- und Musiktheater sucht. Er ist ein freier Geist und ein Star des europäischen Regietheaters", so das Thalia auf seiner Home.

 

Hier dann also eine kurze Inhaltsangabe des ursprünglichen Textes von Tschechow:

Der Protagonist Kowrin leidet unter einem Lehr- und Forschungs-Burnout und will sich auf dem Lande bei seinem Ziehvater und dessen Tochter Tanja erholen, die beide hart arbeiten in ihrer erfolgreichen Gärtnerei. Und auch Kowrin arbeitet weiterhin viel, zu viel, schläft zu wenig, bleibt gestresst. 

Da erinnert er sich an die alte Legende vom schwarzen Mönch und begegnet diesem in der Folgezeit immer wieder, in vollem Bewusstsein sogar: "Aber ich fühle mich ja gut, ich tue niemandem Böses; an meinen Halluzinationen ist also nichts Übles, dachte er, und ihm wurde wieder wohl."  Er sieht sich vom Mönch sogar belobigt, dass er ein genialer Mensch sei, der aus der breiten Masse hervorsteche. Das beflügelt ihn zu brillanten Szenen und  führt auch dazu, dass er Tanja sogar einen Heiratsantrag macht, wie vom Vater ersehnt.

Tanja, die voll in der väterlichen Gartenarbeit  aufgeht, erkennt bald, dass Kowrin geisteskrank ist. Nach seiner Gesundung ist er wohl seinen Wahn los, hat aber auch alle Lebensfreude verloren, was er seiner Frau und ihrem Vater zum Vorwurf macht, da er nun statt  Halluzinationen körperliche Beschwerden hat. Die machen ihn arbeitslos, seine Ehe endet im Zwist. Mittlerweile lebt Kowrin mit einer anderen zusammen.

Der schwarze Mönch fragt ihn  durchaus freundlich: "Warum hast du mir nicht geglaubt?" 

Am Ende stirbt Kowrin wahrscheinlich jung wie sein Autor - mit einem Lächeln im Gesicht.

 

 

Die Tschechowsche Grundfrage "Wie leben?", nicht nur in ihrer philosophischen, sondern auch in ihrer alltagspraktischen Bedeutung verstanden, kann weder der Autor selber noch sein Protagonist beantworten, der aus Angst vor banalem Mittelmaß und, befeuert von seinem mönchischen Alter Ego, sich vom grandios Genialischen angezogen fühlt. Wie da einen Zustand harmonischen Gleichgewichts und der eigenen inneren wie äußeren Freiheit erreichen?

Und so wie sich Tschechow dieser Frage stellt, sie aber nicht lösen kann, so gleichfalls nicht seine Figur Kowrin, die überdies bis zu ihrem frühen Ende viele Gemeinsamkeiten mit ihrem Schöpfer aufweist.

Wenn wir an diesem Sonntagnachmittag im Saal die Worte Serebrennikovs hören: "Frei zu sein bedeutet, der Wahrheit zu dienen!", dann schließt er damit an den tiefen Wunsch Tschechows an: "Ich möchte ein freier Künstler sein und nichts weiter". Und macht damit zugleich deutlich wie jemand, der selbst erfährt, wie in Russland schikaniert, verhaftet, verurteilt wird zu drei Jahren Hausarrest, Freiheit definiert als kategorischen Imperativ seines Handelns als Künstler. 

 

Foto: Krafft Angerer
Foto: Krafft Angerer

 

Wie diffizil an diese Frage heranzugehen ist, zeigt sich auch darin, dass Serebrennikov die Geschichte nicht nur in drei Sprachen - Russisch, Englisch, Deutsch -, sondern auch aus vier verschiedenen Perspektiven  erzählen lässt, nämlich der Kowrins, des Gärtners, dessen Tochter und des Mönchs, diese Wahnvorstellung, noch gespiegelt von einer Gruppe von Tänzern und Sängern. Wie auch der Protagonist selbst überdies von drei verschiedenen Schauspielern verkörpert wird. 

Die Erzählweise von Serebrennikov wird in der Kritik gern als geradezu furios dargestellt mit ihrer Art Rondo, Wiederholungen und Variationen des Erzählten und  erreicht dann hier, wie Intendant Lux betont, tatsächlich die Qualität eines Gesamtkunstwerks, das alle Sparten der Bühnendarstellung ebenso bedient wie die verschiedensten Kunstgattungen. Mit Musiken und Klängen, ob gregorianischer Chorgesang und Sakralmusik, Blumen- und Engelsgesängen, ob Klavier und Saxophon, ob  E-Musik. Dazu Elemente des Tanzes ob von mönchischen Derwisch-Röcken oder purem Tanztheater. 

 

Foto: Krafft Angerer
Foto: Krafft Angerer

Das alles auf einer nach dem Entwurf des Regisseurs gestalteten Bühne, kongenial zum Geschehen: Drei Gewächshäuser vom Typ Ikea, die verschoben und von ihrer Verhüllung befreit werden und also nackt quasi als Trümmerfeld dienen. Darüber  vier runde Scheiben, mal Monde oder Planeten, mal Projektionsfläche für Gesichter oder Hände oder wild zuckende schwarz-weiße Graffitis.

So realisiert Serebrennikov seine "Idee der Freiheit", Titel der Schlussrede vor Gericht in Moskau, Juni 2020, in direkter Anlehnung an die Worte Tschechows: "Das Wichtigste ist es, Kunst zu erschaffen, Künstler zu sein...Der ganze Rest ist gar nichts". (Süddeutsche Zeitung, 23.10.21)

 

   

 

07.03.2022                                                                                                                   AGru/PK

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