Zum 8. März in diesem Jahr präsentiert KUNO auf seiner Web drei Frauen der Künstlerkolonie Carlshöhe aus dem gleichnamigen Stadtteil in Eckernförde: Marit Koch, Marlies Rzadkiewicz und Wiebke Lassen. Sie arbeiten in je einem der über fünfzig Ateliers und wurden im letzten Jahr zusammen mit ihren Kolleg*innen in einem gemeinsamen Katalog vorgestellt. So kam Paul Kroker auf die Idee, mit drei der Künstlerinnen ein gemeinsames Ausstellungsprojekt für eine Online-Schau auf kunoweb zu entwickeln.
Die Künstlerkolonie Carlshöhe ist mit ihren knapp fünfzehn Jahren im norddeutschen Raum recht neu, jung und frisch. Und dass das im Norden gleich an das traditionsreiche Ahrenshoop auf dem Darß denken lässt, liegt ebenso auf der Hand wie die Erinnerung an die Künstlerkolonie im niedersächsischen Worpswede der Fritzen Overbeck und Mackensen, der Paula und Otto Modersohn, Clara Westhoff und natürlich Heinrich Vogeler auf seinem Barkenhoff.
In Schleswig-Holstein selbst darf nicht vergessen werden der jährliche Großevent internationaler Kunst im kleinen Büdelsdorf: die NordArt auf dem Gelände vom Kunstwerk Carlshütte. Diesen Goliath nicht nur im norddeutschen Kunstbetrieb verbindet mit der jüngeren und kleineren, andersartigen Carlshöhe nicht nur Geografie und Namensähnlichkeit, sondern auch ganz entscheidend: die Gunst privater Förderung.
Von allen drei präsentiert die Online-Ausstellung ästhetisch ansprechende und anspruchsvolle Arbeiten, die vom Publikum ein "qualitätsvolles Sehen" (Hanno Rauterberg) einfordern, nicht einfach zu gucken und zu schauen, sondern die Kunstobjekte zu betrachten. Denn eine genaue, detaillierte Betrachtung ist eine Wertschätzung beider Seiten.
Darauf scheint auch der Titel eines Bildes von Marit Koch anzuspielen: Wer sieht (2018) bezieht sich genau auf beide Seiten der Kunst, auf das Kunstwerk und auf seine Wahrnehmung.
Surfaces, Serien 1 und 2
Crash, Acryl auf Leinwand, 110x160cm, 2020
Surfaces, Serie 3. 1-3, Acryl auf Leinwand, jeweils 100x70 cm, 2021
Marit Koch
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Doppelakt 1, Acryl, Leinwand, 30 x 90 cm, 2019,
Akte und Life-Issues
Ich lebe in Schwedeneck und bin als Teil der Künstlergemeinschaft Carlshöhe überzeugt von der Synergie, die sich aus Möglichkeiten des gegenseitigen Austausches und der Energie ergibt, die von einem Ort ausgeht, an dem die Kreativität ihr Zuhause hat.
Ich arbeite gegenständlich und abstrakt, zum Teil mit großer Amplitude.
Bei der Serie Surfaces - Flächen liegt das Augenmerk auf Korrespondenz, Dialog und Spannung zwischen Flächen und Farbe. Mein Malstil erfasst dabei zwei Extreme: Die Kraft der Zartheit sowie die Leichtigkeit expressiver Farbgestaltung“.
Meine Doppelakte und Life-Issues sind Ergebnisse einer Auseinandersetzung mit Themen des individuellen „Am Leben Seins“. Das ist durchaus in mehrfacher Hin-Sicht dialektisch gemeint. Im Leben begegnen uns Fragen an uns selbst oder einen Teil von uns, an die Menschen an unserer Seite oder von diesen an uns. Auch die soziale Umwelt, gesellschaftliche Normen und kulturelle Vorlieben prägen verschiedene Blickrichtungen. Ein selbstgefälliger oder selbstkritischer Blick auf sich selbst, die Suche nach dem gesellschaftlichen Kontext unseres So-Seins, Ambivalenzen oder das Streben nach der Losgelöstheit von Erwartungen drücken sich in meinen Bildern aus.
Ich male mit Acryl, nutze die Detailliertheit meiner inneren Bilder und deren Entwicklung, um sie in ebensolcher Detailliertheit gegenständlich oder abstrahiert auf die Leinwand zu bringen. Keines dieser Werke ist bis zum Ende durchgeplant, vielmehr ergibt sich das Endergebnis aus eben jener
oben erwähnter Dialektik, die uns unsere Wege im Leben oder deren Abzweige finden lässt.
Die Doppelakte sind eine 4er-Serie von jeweils 2 Frauenakten, deren Beziehung zueinander, ihre Positionierung, Gestalt und ihr Ausdruck ein inneres Spektrum abbildet, innerhalb dessen sie sich mit typischen Themen verorten, denen Frauen heute begegnen, sowohl im Außen als auch in sich
selbst. Life-Issues als Einzelwerke nehmen diese Grundthematik auf. Sie und weitere Akte sind mit Acryl oder Pastellkreiden gearbeitet.
Marit Koch, Atelier marikiko
Bei Marit war es am Anfang ein Bild, das zunächst einmal ganz unwillkürlich den Blick auf sich zog, nämlich der Doppelakt 1 (2019) zweier nackter weiblicher Körper, einer weiß-, der andere dunkelhäutig, in einer eher irrealen Verschränkung der Leiber, entscheidend verfremdet aufgrund der partiellen Transparenz von Körperteilen sowie der Leerstellen in der Haltung dieser Körper. Mal plastisch, mal flächig, mal statisch, mal dynamisch, alles andere als naturalistisch, mit einer ästhetischen Wirkung, welche die Illusion des ersten Blicks, einer erotischen Szene, sofort wieder desavouiert, auf dass allenfalls ein Traum davon zurückbleibt. Alles andere als ein Alptraum jedoch, eher einer der Träume in einem hellen Pastell mit Variationen in Azur, Rosa und Türkis in Endlosschleife. Also eher ein open denn ein happy End. Schon raffiniert, wie die Künstlerin das Auge (nur das männliche?) voyeuristisch verführt, dann knallhart frustriert und aufs genaue Hinschauen lenkt.
Die Zuwendung zur Abstraktion ist bei Marit Koch kaum verwunderlich, deutet sie sich ja in ihrer figurativen Malerei bereits an. Und trotzdem überraschen diese farbigen Formen und Flächen, die in ihrer Bewegung eine Leichtigkeit des Seins anklingen lassen. Acryl auf Leinwand, aus dem letzten Jahr, hier aber so aufgetragen, dass daraus fast Aquarelle entstehen mit geradezu gedimmten Tönen in Ocker, Orange, Gelb, Violett, Rot, mitunter auch in Blau, das sich eigentlich für Anderes aufspart. Farbflächen, die sich entleeren und nur an den Rändern gerinnen, sich ineinander verschieben, überlagern, dabei in ihrer Transparenz Durchsicht gewähren und einen neuen Farbton anschlagen. In diesem Fließen, Fliehen, Fliegen, gelegentlichem Fallen, offenbart sich jene Leichtigkeit so sinnlich und schön. Dennoch entgeht dabei nicht ein Fliehen, ein Entrinnen, wenn sättigendes, intensives Acryl sich in zartes, durchscheinendes Pastell verflüchtigt. Den dramatischen Schlusspunkt hier setzt nun der chromatische Paukenschlag in Blau. Nicht nur in Blautönen, zugegeben, aber so verhakt sich das im bildlichen Gedächtnis. Ein Crash, so der Titel des Bildes, vormalige Strukturen noch erkennbar, sonst aufgelöst, zerstört, verschwunden in einem neuen vielversprechenden Chaosmos.
Und dann der zweite und dreifache Paukenschlag und Schlusspunkt: die intensiv leuchtenden Farbwelten der Marit Koch im neuen Jahr.
Marlies Rzadkiewicz
Der Titel und die Serie von 16 Arbeiten sind Teil des Projektes: SCHMETTERLINGSTAL, eines Sonetts gleichen Namens der dänischen Lyrikerin Inger Christensen. Aus jedem Teil des Sonetts habe ich mir einen Begriff gewählt, den ich dann als Einzelarbeit, Serie oder Installation in unterschiedlichen Techniken bearbeitet habe.
Die Serie von 16 Arbeiten übermalter Fotografien mit dem Titel:
ERZÄHLENDE ASCHE
haben als Grundlage s/w Fotografien vom Strandsaum der Insel Fuerteventura.
Die Übermalungen mit Acryl sind in kürzester Zeit entstanden, aus der Hand heraus; dennoch viel langsamer als herausgeschleuderte Asche aus dem Inneren der Erde. So schnell, wie Gedanken fliegen, doch nur Bruchteile können festgehalten werden.
Es ist das Leibgedächtnis (Dürkheim/Thomas Fuchs), welches Zeiträume und traumatische Erlebnisse über Generationen erinnert und „plastiziert“. Das Gedächtnis der Zeit und des Körpers bleibt unsichtbar, bis wir das Unsichtbare erzählen und notieren in einem Bild, in einem Gedicht, in Literatur.
Cornelia Regelsberger über meine Arbeiten, 2020
Daher sind Betrachter dieser Arbeiten verwirrt, können ihre Erfahrungen nur an wenigen bestimmbaren Strukturen festmachen. Ihnen wird aber die Möglichkeit eröffnet den eigenen Horizont zu erweitern, Unbekanntes zuzulassen, dem eigenen Blickwinkel eine andere Richtung zu geben.
Es ist von mir gewollt, dass Irritationen ins Bewusstsein dringen, nicht zweckorientiert und effizient. Gedankenkonsum.
Bei meiner projektbezogenen Arbeit entstehen meist Bildersequenzen, die das Durchspielen verwandter Segmente in serielle Variationen fassen. Die Themen werden von mir über einen langen Zeitraum kontinuierlich in den unterschiedlichsten Techniken bearbeitet, um einen möglichst großen Kontext des gewählten Themas bildnerisch aufzuzeigen.
Meine bevorzugten Materialien sind Acryl, Ölpastell
und Grafit auf Leinwand, Papier und Karton. Dreidimensionale Objekte, Künstlerbücher und Toncollagen vervollständigen die Umsetzung meiner Themen.
Marlies Rzadkiewicz
Sicherlich gut, doch nicht zwingend notwendig, wenigstens einige Verse von Inger Christensens Schmetterlingstal gelesen oder im Vortrag von Hanna Schygulla gehört zu haben. Gleiches gilt für die kritische Einführung von Thomas Sparr in seinem Nachwort zur deutschen Übersetzung der Sonette:
Die Form ist lesbar, die Bilder prägen sich ein; will man aber das Thema dieses Textes, seinen Inhalt nur annähernd wiedergeben, greift man ins Leere. Der Text ist so nicht lesbar, wie wir zu lesen gewohnt sind, identifizierend, strukturierend, auf etwas eigentlich Gemeintes zielend.
Auch wenn das erstmal nicht direkt Greifbare nicht verwunderlich ist in der modernen Kunst und ihrer Geschichte, gibt der Verweis auf die dänische Lyrikerin vielleicht schon eine Ahnung, was bei den Arbeiten Marlies Rzadkiewicz' zu erwarten ist, eine Auseinandersetzung mit eigener und Welterfahrung, die anders als in dieser Weise für sie nicht sagbar ist mit welchem Zeichensystem auch immer.
Erzählende Asche? Diese faszinierende Serie der Künstlerin beginnt hier mit einem nicht weniger faszinierenden Titel, der vermeintlich anspielt auf den konkreten Akt der Produktion dieser Bilder und die dabei verwendeten Materialien. In jedem Fall diente die Lyrik Inger Christensens als Quelle der Inspiration. Und ist Metapher von erhabener, auch historischer Strahlkraft, die berührt, erschüttern und erschaudern lässt. Die daraus entstehende Spannung muss nicht, aber kann unsere Betrachtung mitprägen.
Auf Schwarzweiß-Fotografien im Format 21 x 30 cm hat die Künstlerin mehr oder minder starke Spuren von Acryl in Schwarz, fast immer auch etwas Rot aufgetragen, das hindurchscheint, sich vermischt, in Tupfern und Rinnsalen für sich selbst stehen kann oder fast bis zur Unkenntlichkeit im dominanten Schwarz aufgeht.
Fotos vom Strandsaum auf Fuerteventura führen uns assoziativ erstmal zu heute in der Pandemie unerreichbaren kanarischen Urlaubsgefilden. Bilder davon im Kopf und dann dieser Serien-Titel, das könnte möglicherweise in die Irre führen. Oder eben auf den richtigen Weg, wenn sich bei der genauen Betrachtung der fertigen Bilder eben eine Wahrnehmung einstellt, geprägt von der Dialektik aus Schrecken und Schönheit und einem Hauch Erotik. Keine Aschebilder à la Günther Uecker also als künstlerische Antwort auf die Katastrophe von Tschernobyl, vielleicht aber gleichfalls "entstanden aus der Verzweiflung des gefährdeten Seins", wie der Bildhauer es meinte.
Wiebke Lassen
Von Wiebke Lassen in dieser Online-Show nur einige skulpturale Segmente aus dem reichhaltigen Repertoire an Keramiken und Arrangements, vom singulären Objekt bis zu Ensembles der Ton- und Leuchtgestalten, Installationen und Design in Haus und Garten. Schulterschluss von Natur und Kultur. Nicht auszuschließen, dass bei den Überlegungen zu dieser Ausstellung der Roman von Thomas Hettche und die Definition von Kunst und ihrer Rezeption nicht so ganz unwichtig waren: "Der Herzfaden einer Marionette macht uns glauben, sie sei lebendig, denn er ist am Herzen der Zuschauer festgemacht."
Denn so bizarr und clownesk die Clobold-Installation zunächst einmal wirken mag, verweist sie jedoch im Wort schon auf althergebrachte Hausgeistermythen der Kobolde. Beim genaueren Hinsehen entpuppt sich jener Keramikkopf mit der wuchtigen Nase und den weit geöffneten Augen, als hätte die Künstlerin selbst ein Gesicht, eine visuelle Eingebung von einem Antlitz, in seiner physiognomischen Übertreibung eher fragend und merkwürdig, ja merk-würdig und nicht fragwürdig. Weil das Groteske auch der meisten anderen männlichen Visagen gepaart ist mit einer gewissen Seelenruhe und Unerschütterlichkeit.
Das zeigt auch die skulpturale Gestaltung weiblicher Figuren, die noch auf Anderes hinweist: Die schlanken hochgestreckten Frauenkörper - ganz im Unterschied zu der eher gedrungenen Gestalt eingangs dieser Sektion - so aufrecht sie sind, sind sie zugleich aufrichtig in ihrer Verschiedenheit der gestalteten Mimik: von abwesend, abwartend, nachdenklich bis erschrocken. Passend dann ein Titel wie Gefühlsfrau.
Eine aber sticht hervor aus der doch ein wenig schlichten Weiberschar, mit einer gewissen Noblesse und auch sehr real, ganz im Sinne des reale im Italienischen, das auch steht für königlich. Frisur und Outfit des Halbakts up-to-date. Ihr Name, passend auch hier, Kämpferin, ein Fragment ohne Gesicht.
Ihre spezifische Ausdrucksstärke verdanken all diese Skulpturen der jahrhundertealten japanischen Raku-Technik mit den ihr eigenen speziellen Glasureffekten und der typischen Schwarzfärbung nicht glasierter Teile. Wobei sich nicht kalkulierbarer Zauber entfalten kann, eben dem Zufall geschuldet, den Kunstschaffende nicht selten anbeten, wie Novalis das verstand.
Wie schön und versiert sie spielt, nein, nicht pokert, sondern weil sie zu spielen versteht mit ihren Visagen und Leibern, diese Femlawie!
Alles darf sein
Wenn ich im Fluss bin, fließen meine Skulpturen aus meinen Händen.
Die Komplexität eines Menschenlebens, das ständig in Bewegung, Veränderung und Verwandlung ist - das ist Entwicklung: ernst und froh, hart und weich, kalt und warm, dynamisch und stabil, schwer und leicht, traurig und fröhlich, wütend und humorvoll.
Clobolde entstehen mit Ernst und mit Humor. Schafe schaffen Verbindung mit der Natur. Gesichter und Körper bringen Gefühle und Stimmungen hervor.
Holz, Stein und Ton sind ständig in Veränderung mit unterschiedlichsten Spuren vom Leben.
Veränderung entsteht durch 1000 Grad heißes Feuer und einer schockartigen Kühlung.
Im Fegefeuer entsteht das Unberechenbare, es läutert. Ein Sinnbild des Lebens.
Ich freue mich, auf der Carlshöhe gelandet zu sein. Im Spektrum gleichgesinnter inspirierender Kollegen/innen.
Im wilden Moor bei Rendsburg bin ich aufgewachsen.
Meine Brenntechnik nennt sich Raku. Dieses Wort bedeutet:
Freude
Glück
Ungezwungenheit
Wiebke Lassen, femlawie.art
Kunstwebinar von ViLE-Netzwerk, ZAWiW/Uni Ulm, KUNO
25.03.2021
Paul Kroker (2021)
Medien
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Elke Wilkens- NSW/Australien (Freitag, 12 März 2021 12:21)
Super Ausstellung- passende Kunst für den Welt Frauentag.
Siegmund Müller (Samstag, 13 März 2021 22:02)
Sehr ansprechend und inspirierend. Tut einfach nur gut