IKONEN – was wir Menschen anbeten – der Titel trifft und wie! Mitten rein, was in Kunst, Kunstgeschichte, aber auch im Alltagsleben abgeht. Und scheint fast nahtlos an die Ausstellung „Über das Erhabene“ im Guggenheim Berlin anzuschließen. Das war vor fast zwanzig Jahren und kaprizierte sich auf das 20. Jahrhundert und drei seiner herausragenden Künstler: Yves Klein, Mark Rothko und James Turrell. Die finden sich natürlich jetzt auch in Bremen wieder ein.
Die hiesige Sonderausstellung will es aber viel größer, tiefsinniger und braucht sich im Unterschied zu Berlin 2001 auch nicht räumlich zu beschränken. Die Kunsthalle wurde buchstäblich ausgeräumt: ca. 4500 m² Fläche der sechzig Säle werden nun von Ikonen aller Art bespielt. Von frühen Heiligenbildern, die noch nicht als Kunstwerke galten, da von göttlicher Instanz generiert, bis zu einem künstlerisch irrelevanten, allerdings kunstkommerziellen Highlight wie dem roten Balloon Dog von Jeff Koons. Und bis hin zur Ikonisierung des Ichs, wie hier treffend einer der vier Themenräume betitelt ist.
Eine thematisch breite Tiefenschau also, aufwändig und auch sorgfältig kuratiert von Kunsthallenchef Christoph Grunenberg und Eva Fischer-Hausdorf, gleichfalls mitverantwortlich für den spannenden, gut lesbaren und auch für sich selbst sprechenden Katalog. Dass etwas fehlt, einem fehlen kann, ist kein Wermutstropfen, sondern kann umgekehrt werden auf ein Sich-Erinnern an oder Weiterdenken über andere Weltkulturen und deren bildnerische Erzeugnisse. Vor der Presse betonte Grunenberg auch noch, dass sich für ihn hier ein jahrelang verfolgtes Herzensprojekt realisiert habe.
Und noch bevor Ironie und Selbstironie in der Abteilung Anbetung, Ironisierte Ikonen, Readymades und Starkult explizit thematisiert werden, zeigt die Ausstellung am Beispiel des russischen Mandylion aus dem 16.Jahrhundert mit feinem Gespür für die Ironie der Kunstgeschichte, dass das „nicht von Menschenhand gemachte Bild unseres Herrn Jesus Christus“ dann doch 1872 von dem ansonsten anonymen Ikonenmaler Nikita Sevastjanov Racejskij restauriert werden musste. Das schon auf der ersten Station des informativen Presserundgangs.
Diese Bildwerke haben eine lange Tradition, die noch fortwirkte, als bereits mit Gotik und Renaissance neue Tendenzen in den Kunstwerkstätten Fuß fassten. Bis dann in der Gegenwart Stil-, Form- und Farbelemente wieder aufgegriffen und zugleich verfremdet werden. So bei Niki de Saint Phalles bronzenem Flügelaltar, der so wenig mit andächtigem Christentum zu tun hat wie das Porträt eines New Yorker Hip-Hop-Tänzers vom afroamerikanischen Künstler Kehinde Wiley, ausgeführt in der Form der Repräsentationsmalerei adeliger europäischer Potentaten sowie auch der Andachtsmalerei etwa eines Masolino da Panicale (s. hier unten). Wileys ästhetischer Traditionsbezug zeugt zudem von einem ausgeprägten ethischen Engagement.
Eindrücke aus den Sälen zu Mandylion, Brancusi, Beuys, van Gogh, Mondrian
Selten so deutlich wie diesmal in der Bremer Kunsthalle wird bei einer Ausstellung der innige Zusammenhang zwischen Kunstwerken und ihrer Präsentation in Raum, Licht und Farbe sowie in ihrer wechselseitigen Kommunikation. Bilder wollen nicht an irgendwie getünchte Wände gehängt, Skulpturen irgendwo platziert werden und Videos nicht in muffigen Kabinen verschwinden.
Die großzügige Geste, je einem Werk – mitunter einer Werkgruppe – einen eigenen Saal zuzuordnen, würdigt ja nicht nur den ästhetischen Rang des Kunstobjekts. Sie lädt gleichfalls das Publikum ein zum Verweilen, Sich-Einlassen auf das Artefakt, dem Sekundentakt des Durch- und Vorbeimarschierens im Museum nachdrücklich Einhalt zu gebieten. Und stattdessen: durch die Weite der Räume in aller Ruhe zu flanieren. Was beim Pressetermin sicher noch nachhaltiger erfahren werden konnte, als es nach Eröffnung der Schau und bei größerem Publikumsandrang möglich sein wird. Doch die Kunsthalle ist ja per se weitläufig.
Wie immer in einer guten Kunstschau gefallen nicht alle Ausstellungsstücke gleichermaßen, aber es lassen sich auch immer die finden, die besonders erfreuen und das Herz aufgehen lassen. Das ist der Fall bei Caspar David Friedrichs Gebirgslandschaft mit Regenbogen (1809/10), einer Leihgabe vom Essener Folkwang-Museum. Das surreale Motiv in der nächtlichen Naturszenerie, die blicklenkende Sogkraft der kleinen Künstlerfigur fast im Zentrum des Bildes, ein Rückenporträt des Künstlers, erzeugen einen Moment des Andächtigen, nicht untypisch für die Malerei der Romantik. Der verflüchtigt sich allerdings schnell durch die Hängung an grauer Wand in grauem Raum und Licht. Ist dieser Effekt wirklich gewollt?
Zur Abteilung Die Ikone und die Folgen. Wie das Göttliche sich zeigt gehört auch Berlinde de Bruyckeres Installation 020 (2007). Kongenial platziert, scheinen ineinander verschmolzene Leiber, die nur fragmentarisch an menschliche Körper erinnern, aus einer Standvitrine zu quellen in den umgebenden Saal hinein und stoßen dabei Assoziationsräume auf, die an die Trauer von Pietà-Figuren ebenso erinnern lassen wie an Reliquienschreine für die Gebeine Heiliger.
Dass die ausgestellten Werke im weitesten Sinn immer wieder als zur Andacht aufrufend verstanden werden (wollen), lässt sich in der fest integrierten ortsspezifischen Lichtinstallation von James Turrell erleben, die auf allen Etagen der Kunsthalle Zugang erlaubt und in diesem lichtdurchfluteten Tunnel ein metaphysisches Erlebnis erlaubt. Dass es fast scheint, als sei diese Ikonen-Ausstellung um ihn herum aufgebaut. Was ja auch bezüglich der architektonischen Realität gar nicht so falsch ist. Hier kann sich im vollsten Wortsinne vollziehen, was als Eintauchen in das Bild. Wahrnehmung als Erleuchtung in dieser ikonographische Abteilung benannt ist.
Schreiben wir einmal nicht über Rothko, Malewitsch, Yves Klein und die vielen anderen der uns besonders lieben Künstler*innen, nicht über Bill Viola, nicht über Marina Abramovic – sie alle natürlich auch in Bremen vertretene Bildikonen –, kommen wir nicht umhin, den ersten unvergesslichen Eindruck dieser Ausstellung zu schildern: James Lee Byars´ Grabkammer aus purem Blattgold, die der Künstler drei Jahre vor seinem Krebstod in einer Performance schuf, wovon noch fünf Swarowski-Kristalle zeugen sollen. Fünfundzwanzig Jahre nach ihrer Erschaffung auch dieses Jahr in Venedig ausgestellt anlässlich der diesjährigen Kunst-Biennale, womit die Hoffnung des Künstlers weitergegeben wird, dass die Menschen durch das Einüben „meines eigenen Todes etwas Sinnvolles für sich selbst erfahren“. Auch unabhängig dieses semantisch dräuenden Kontextes verschlägt es hier den Atem vor dieser Erhabenheit von Schönheit, die fast schon schaudern macht.
Schließlich präsentiert sich kunstverbunden und PR-gerecht Kunsthallen-Direktor Christoph Grunenberg am Ende des Presserundgangs dann auch noch einmal im Themenraum Ikonisierung des Ichs. Auf dem Foto hier allerdings noch ohne das spezifische Outfit neben ihm, das er dann erst später anprobierte.
Was wir vom KUNO-Team nachdrücklich empfehlen würden, wäre unbedingt eine zeitgemäße Online-Begleitung eines solchen Events in Form zum Beispiel eines Digitorials als Vor- wie Nachbereitung dieser fast halbjährlichen Schau, was noch im Archiv ihre Strahlkraft wirken ließe.
Abschließenjd möchten wir verweisen auf zwei Online-Ausstellungen der letzten Jahre, die wir organisiert haben und die in unserem Archiv jederzeit abrufbar sind.
Nicht zufällig spielen die beiden in der Bremer Ikonen-Ausstellung mit: Marina Abramovic und Bill Viola.
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