Fotos: Everything..._©_Heinrich Brinkmöller-Becker_Ruhrtriennale 2019
Unser Bericht von dieser Kunstproduktion auf der Ruhrtriennale 2019 und ihrem gedehnten Überbau spielt nicht ganz unbewusst im Titel auf ein Zitat von Mao Zedong an. Beginnen wir mit den Inspirationsquellen für ETHAWH:
· John Cages Opernprojekt, das Heiner Goebbels 2012 selbst auf der damaligen Ruhrtriennale vorstellte und auch heute noch als „Befreiung der Oper und der Operngeschichte“ bezeichnet und damit Oper gegen den gängigen Opernbetrieb inszeniert. Unter strenger Einhaltung von Prinzipien wie Dezentralisierung und Dehierarchisierung, z.B. Oper ohne Dirigenten, was befreien soll hin auf Souveränität von Musiker*innen und Publikum, um Oper nicht als Fertigprodukt, sondern als entdeckungsfördernd für sich selbst aufzutun.
· Dann die Zusammenarbeit mit dem Bühnenbildner und Lichtdesigner Klaus Gruenberg, dessen überwältigende Szenarien man sich unbedingt online anschauen sollte.
· Die Reihe ist nun an dem Textwerk von Patrik Ouřednik,"Europeana", einer satirischen Kurzgeschichte vom europäischen 20. Jahrhundert, das nach der Welturaufführung 2018 in Manchester leider auch in der deutschen Erstaufführung fast ausschließlich auf Englisch vorgetragen wurde. Was auch immer der Grund dafür sei, im Ergebnis schadet das dem Verständnis und dem Text selbst sowie seiner dialektischen Einbindung ins mediale Gesamtgeschehen dieser Performance.
· Nicht fehlen darf die Erwähnung des von Goebbels so geschätzten Nachrichtensenders EURONEWS und seiner auf den aktuellsten Stand gebrachten No Comment-News. Ein Triumph der visuellen Wirkungsmacht der Medien unabhängig von Kontexten, was zum wiederholten Mal McLuhans These vom Medium als Message unterstreicht. Bleibt aber die Frage, ob durch solche textlosen Bilder jene „Autonomie“ bei der Betrachtung entsteht, die sich der Autor wünscht.
Durchaus genial und ganz im Geiste Cages die Zerstörung des Bühnenspektakels bei gleichzeitiger Erschaffung eines neuen, eben von ETHAWH. Positiv formuliert, wir erhalten so etwas wie einen Einblick in den Produktionsprozess einer Aufführung, einer Performance und Installation mit dem performativen Team einer großen Schar international renommierter Bühnenarbeiter*innen. Eine zweieinviertelstündige Hochleistung ständiger Umbauarbeiten. Schreibt BR 24:
„Zwölf Tänzer schuften im Bühnenbild, denn unablässig galt es, sperrige Bühnenteile auf- und abzubauen, um immer neue, assoziative Bilder zu schaffen. Da werden aus barocken Operndekorationen plötzlich Panzer, aus bemalten Prospekten eine riesenhafte Schleppe, die den Träger fast erdrückt. In der Jahrhunderthalle ist viel Platz, da sind monumentale, technisch opulente Bilder möglich.“
Enthierarchisierung also, wenn gestandene Künstler*innen ein Spektakel entwerfen, sich dabei am Bühnenbild abarbeiten, auf dass diese kollektive Arbeit den Rang hochwertiger Kunstproduktion beanspruchen kann. Das Bühnenproletariat an der Macht?
Nicht alles Geschehen im Raum ist vom Publikum wirklich sinnlich nachvollziehbar, wenn da Videoprojektionen fehlen, um in einer langen Sequenz das sicherlich eindrucksvolle Farbmosaik unterschiedlichster aus- und wieder eingerollter, verschobener, sich überlappender Stoffbahnen visuell aufnehmen zu können.
Der multimediale Einsatz, die Bewegung einer solch großen Anzahl von Requisiten sind wohl undenkbar ohne eine akribisch einzuhaltende Choreographie aller Performer*innen. Bis auf die Musiker*innen, die sich ganz auf Klang- und Tonproduktion konzentrieren können – und das ganz exzellent tun: Cécile Lartigau (Ondes-Martinot), Camille Emaille (Percussions), Gianni Gebbia (Saxophon), Léo Maurel (Organist an eigenen Instrumenten) und Nicolas Perrin (E-Gitarre).
Besonders eindrucksstark und aussagekräftig zwei Szenen: das Ballett der Denkmal-Sockel und der dröge, fast bedrohliche Tanz der Grabsteine, wobei die eigentlichen Tänzer*innen sich in den Dienst der Requisiten stellen mit der Wirkung, als bewegten sich die Objekte von selbst. Die Wahl von Piedestal und Friedhofsmonument, leergefegt von denen, die als Helden oder Opfer darauf ihren Platz beanspruchten, bedarf keiner weiteren historischen Ausführungen. Und ihre tänzerischen Bewegungen auch nicht wie das fast schon fröhliche Spiel der Sockel im weiten Hallenraum.
Vielleicht wegen seines viel zu vielversprechenden Überbaus hat mich das Ganze dieses ETHAWH nicht wirklich überzeugt, die gewollten geschichtlichen Dimensionen in der Maschinenhalle haben nichts wirklich Neues gedanklich und ästhetisch in mir angestoßen.
Es sei denn vielleicht die Buchempfehlung von Patrik Ouřednik als Lektüre nach der Show.
Sehr sympathisch der Auftritt des Autors bei der Einführung vor der EA im deutschsprachigen Raum, die er eigentlich eher notgedrungen anstelle der dafür vorgesehenen Person wahrnehme, da er gar kein Freund solcher Veranstaltungen sei, wenn sie denn auch noch Interpretationshilfen vorgäben. Denn ETHAWH sei, so Heiner Goebbels im Programmheft, „ein Raum für Imagination und Reflexion, in dem die Konstruktion von Sinn jedem selbst überlassen bleibt“. Das liest sich gut für mich als professionell Interessierten, auch dass es dazu diene „abzuschweifen“. Doch spüre ich auch in dieser Offerte totaler Offenheit, die ja schon konditioniert ist durch das Goebbelsche Projekt selber, dass es sich um eine Gratwanderung handeln könnte – auch in die Leere.
Das alles, ohne mich vorgeblich volksfreundlich den Buhrufen anzuschließen, oder der lautstarken Bekundung eines Pensionärs hinter uns, der sich über die Verschwendung von Steuergeldern für „sowas“ beschwerte.
Das Theater der Zukunft, an dem Heiner Goebbels seit Jahrzehnten glaubwürdig arbeitet, hat notwendig seinen Preis, bedarf immer neuer Versuchsanordnungen, damit manch großer Wurf gelingt.
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