Das Cover-Pic stammt von der Fotokünstlerin Christy Lee Rogers. Mehr per Klick
Anfang des Jahres von einem Zappa-Event als musikalischem Höhepunkt bei den diesjährigen Herrenhäuser KunstFestSpielen zu erfahren, hatte mich schlicht auf dem falschen Fuß erwischt. Ganz im Unterschied zu Mahlers Achter 2020.
An Frank Zappa erinnerte ich da nur noch seinen Auftritt im Berliner Sportpalast vor mehr als fünfzig Jahren: SDS oder Kommune 1 oder beide wollten ihn als Frontmann für eine Vietnam-Demo oder eine Kundgebung gegen die Inhaftierung von Fritz Teufel oder sonstwas vereinnahmen. Musiker und Band weigerten sich, wurden – mir unverständlich – mit Eiern und Tomaten bombardiert, die Bühne gestürmt, dann teilweise zerstört und beklaut. Nach einer längeren Unterbrechung kommen Zappa und die Mothers of Inventions zurück und verleihen ihrem Konzert noch einen würdigen Abgang.
FZs Songs waren mir nicht mehr präsent, er als Musiker stand nie im Vordergrund meines eigenen Musikinteresses. So hatten mich die KunstFestSpiele motiviert, mir die alten Sachen wieder anzuhören – und übrigens mit großem Genuss. Vor allem mich umfänglicher über diesen Künstler zu informieren, über die Vielfalt seines Schaffens, über die diversen Musikstile und -genres, „die er auf ganz einzigartige Weise zusammenfasst und kombiniert“ – so der Musiker Ali N. Askin, dem Arrangements und Bearbeitung vieler Stücke nicht nur des Herrenhäuser Konzerts zu verdanken sind.
Bis zu seinem frühen Krebstod Anfang der 90er versteht es Zappas Musik, so lerne ich, Blues, Rock und Pop mit den Klassikern der Neuen Musik wie Strawinsky und Webern – und für ihn vor allem Edgar Varèse – zu vernetzen und schließlich als ungewohnter wie ungewöhnlicher Grenzgänger der Musikwelt eigene Kompositionen hervorzubringen. Zuletzt in jahrelanger enger Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern das Album „The Yellow Shark“ (1992).
Ich bereitete mich also vor auf diesen musikalischen Event, hörte mir im Internet mehrere Konzerte Zappas an und fand dann besonderes Interesse an Frank Zappa Plays RDNZL (s.u. The Lost Episodes) von seiner 1982er Tour. Glücklich war ich dann über den Fund seines letzten Konzerts zehn Jahre später in der Alten Oper in Frankfurt/M. Diesmal von professioneller Qualität! Ja, es war die 90minütige Aufzeichnung der Langversion von The Yellow Shark mit dem Ensemble Modern (s.u. The Girl...)! Eigentlich eine Konzertperformance, die der Komponist noch teilweise selbst dirigiert. Ergänzt um Sketche und andere humoristische sowie tanztheatralische Einlagen. Spätestens seit den aufwändig inszenierten Popkonzerten und Rockopern nichts Ungewöhnliches und eher unverzichtbare Beilage, doch bei einem Konzert „ernster“ Neuer Musik?! Jedenfalls Zappa, den MusikerInnen und dem Publikum scheint es ordentlich zu gefallen.
Meinte ich mich nun wohl gewappnet für das diesjährige Revival unter dem Logo Herrenhausen – das real jedoch am historischen Ort der Konzerte Zappas vor vierzig Jahren, nämlich in der Eilenriedehalle, stattfand –, so sah ich mich ein weiteres Mal überrascht. Künstlerische Interpretation – das war und ist mir eigentlich bewusst – sollte nicht nur als Wiederholung von bereits Bekanntem missverstanden werden.
Lächelnden Gesichts und energiegeladen betritt Festspielintendant und Dirigent Ingo Metzmacher die Bühne und Tutti! erklingt schon beim ersten Stück „Dog/Meat“ ein alle Ohren mitreißender Orchesterrausch. Ganz anders da noch die 92er Version, die eher auf die Akzentuierung einzelner instrumentaler Stimmen setzt. Doch solches folgt sogleich, wenn allein Holz- und Blechbläser wie in einem Jazzworkshop Klänge aufspüren, ihnen nachspüren. So wie denn auch das Pianoforte in einem zwölftonmusikalischen Solopart. Nicht immer leichte Hörkost bei diesem halben Dutzend Kompositionen aus dem Gelben Hai, stets wieder ironisch konterkariert, ob es nun die Bläser sind, die einfach frech dazwischengrätschen, oder der Kontrabass, der sich ins Elektrische verabschiedet. Hörerlebnisse allemal. Aber eben auch Hör-Arbeit. Oder wie es eine ältere Konzertbesucherin beim Hinausgehen formulierte: „Da musste man sich schon richtig reinhören“, der zweite Teil habe ihr dann viel besser gefallen.
Und also: „Greggery Peccary & Other Persuasions“ (2000). Wer will da denn entscheiden, ob das wirklich besser war?! Vielleicht ja nur anders, vielleicht emotional mitreißender?! Diese orchestralen Arrangements unter Federführung von Ali N. Askin in – soweit noch möglich – enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten selber. Entstanden dabei leichter zugänglichere Stücke oder war unser Ohr nach dem ersten Teil nur weniger gewöhnungsbedürftig? Was man die zahlreichen auch schon in die Jahre gekommenen Zappa-Fans gar nicht erst hätte fragen dürfen. Vielleicht war es ja auch Beides.
Und so geht da gleich mit vollem Orchestereinsatz die Post ab mit „What will Rumi Do?“, der Sound wagt sich in ungeahnte symphonische Weiten vor. Etwas reflexiver wird´s wieder bei stilistischen oft auch ironischen Mixturen. Mal eingängiger mit schmissigem Tempo, mal experimenteller mit geschnorcheltem Schweinsgegrunze, röhrenden Bässen, jazzigen Soli oder Bossa-Nova-Rhythmen.
Schön zu erleben dabei ein tänzelnder, sich in die Klangwellen schmiegender Orchesterchef, der die knapp dreißig MusikerInnen eines gegenüber 1992 natürlich erneuerten Klangkörpers zu einer synenergetischen ästhetischen Einheit formt mit höchstem Bedacht bei allen spaßigen und persiflierenden Einlagen auf exzellente Klangpräsenz und -präzision.
Frank Zappa, Ensemble Modern, Ingo Metzmacher: herzlichen Dank.
(partiell überarbeitet November 2023)
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Darf man solch zartes, melancholisches bis heiter ins Verrückte sich aufbäumende Konzert erleben, beeindruckt jedesmal der ästhetischen Findungsreichtum der KunstFestSpiele Herrenhausen.
„Angesiedelt zwischen zeitgenössischem, barockem und Renaissance-Repertoire, ist das Konzert dieses Trios eine Ode an die ‚schwarze Galle‘ – die Melancholie.“ (Programmheft)
Der klare Sopran ohne Vibrato von Theresa Dlouhy, die geniale akustische, abwechselnd elektrische Gitarre von Tom Pauwels, Eva Reiters Art, die Viola da Gamba mit so eindrucksvoller Mimik zu spielen – so präsentiert dieses exzellente Trio des Brüsseler Ictus-Ensembles ein Mosaik von eineinhalb Dutzend die Gefühlsskala wahrlich ausreizender Miniaturen, abwechselnd als Solo, im Duett oder eben als Trio.
Sie führen zu Ohren große Komponisten der Vergangenheit wie John Dowland, Tobias Hume, Thomas Campian und Stephen Goodall. Im Wechsel mit Zeitgenossen wie Jürg Frey, Burkhard Stangl, Bernhard Gander u.a. Darunter Arthur Lavandier mit dem provozierend anmutenden Titel „My Naked Lady framed“, dem die Gambistin Reiter mit ihrer „My iron-spurred Lady“ zu sekundieren scheint. Doch diese eiserne Lady weckt keine politischen Assoziationen, auch Musikalisches wird eigentlich ausgehebelt und Eva Reiter performt, ihre Gambe angelehnt, per Stimme und diversen Utensilien, huldigt lautlich dem Dada und wird dabei begleitet von Tom Pauwels an der E-Gitarre mit ihren schönen Echoräumen.
Kurz zuvor bei Francesco Fillideis „And here they do not“, einem Duett für Gambe und Sopran, reizen die beiden Musikerinnen Instrument und Stimme bis ins Extrem aus: krasse Klänge und Töne im Wettstreit mit Stimm- und Sprachspielen, die ans Grammelot von Dario Fo erinnern. Zum ersten Mal Szenenapplaus in der sonst fast andächtigen Galerie mit den so schönen Deko-Trompe l'oeils.
Muss die Gambistin dann vorab des nächsten Stückes von John Dowland verschmitzt feststellen: „Jetzt ist natürlich alles verstimmt.“
Doch alles andere als verstimmt, reagierte das Publikum am Ende des einstündigen Konzerts, sondern mit stürmischem Applaus und forderte Zugaben ein.
Ein erinnerungswürdiges Musikerlebnis, dessen Nachhaltigkeit KUNO fördern möchte mit diesem Vimeo-Video und den Soundcloud-Audios.
Drei Zitate aus „Die Wellen“ von Virgina Woolf, die durchaus Lust machen auf den Text. Sowie ein paar Bemerkungen des Choreographen Noé Soulier (1987, Paris) zu seiner Arbeit:
„In „The Waves“ habe ich simple Handlungen mit klaren Zielen ausgewählt: schlagen, ausweichen, werfen, schubsen, nehmen… Ich habe sie jedoch so verändert, dass das Ziel für die Tänzer*innen eindeutig bleibt, für das Publikum hingegen unsichtbar ist… (was ermöglicht,) Aspekte dieser Handlungen wahrzunehmen, die unsichtbar wären, wenn man sie zuordnen könnte.“
Gestehe, auch nach mehrmaligem Lesen selbst des ganzen Textes, versteh ich´s nicht wirklich, hatte jedoch noch vor der Aufführung eine leise Ahnung, hier sei etwas Brechtsches für das Tanztheater im Spiel. Wie auch immer. Meine Vermutung erwies sich als nichtig. Auch die, dass sich mir der titelgebende Verweis auf die große Autorin irgendwie aus der Tanzperformance erschlösse. Selbst dann nicht, wenn an ein, zwei Stellen der erste der drei Auszüge, der „Badetext“, nochmals rezitiert wurde.
Also blieben siebzig Minuten sehr präziser Bodenakrobatik mit auch durchaus perfekten Luftsprüngen, wenngleich ich auf den auf dem Foto (s.o.) vergeblich wartete. Wie natürlich auch darauf, dass der sehr explizit intellektuell formulierte Anspruch des Choreographen sich irgendwo nachvollziehen lasse.
Das Publikum in der Orangerie jedenfalls schien begeistert.
Ich selbst war es auch, allerdings von dem exzellenten musikalischen Rahmen der beiden Drummer, was auch noch im Video nachzuvollziehen ist. Tom De Cock und Gerrit Nulens vom Brüssler Ensemble Ictus, ihr Spiel war Motor und Begleitmusik dieses Tanztheaters. Vor allem aber ganz großes Schlagwerkkonzert.
Auf Rebecca Saunders´ „YES“ ließ ich mich einstimmen von Hans Jürgen Syberbergs so intimer Inszenierung der Lesung von Edith Clever: Monolog der Molly Bloom aus dem „Ulysses“, aufgenommen 1985 vom Regisseur selbst und zwar in der Berliner Wohnung der Schauspielerin (hier als Zusammenschnitt von 45´).
Die Komponistin liefert selber den Verweis auf die literarische Vorlage in ihrer Einführung zum Werk. Dabei macht sie zugleich deutlich, wie sie das monologische Textgewebe mit seiner Vielzahl an werkin- wie externen Verweisen und der Vernetzung von Bewusstseinszuständen des erzählenden weiblichen Ichs intersemiotisch in die Welt der Klänge und Töne zu übersetzen gedenkt. Zunächst einmal:
„YES entwirft eine Musik, die aus dem Fluss der Zeit heraustritt, die wie eine Klangskulptur in den Raum projiziert wird – und im Moment des Zuhörens einen absoluten Fokus auf die physische Präsenz des Klangs anstrebt.“
Dieses „Ja“ im Fokus der Saunderschen Komposition nun ist mehrdeutig und wird durchaus polyphon auch präsentiert, bis es irgendwann im zweiten Teil der Performance sich mal deutlicher outet als orgastisch, wobei es ja daneben simultan immer als lebensbejahend, einverständnissinnig, auch resignativ aufscheint.
Der Text wird in diesem neuen Zusammenhang Musik, wird gesungen und instrumental rezitiert. Gesang wie Spiel der Instrumente sind hörbar präsent, können sich jedoch in jedem Moment verflüchtigen und neue Ausdrucksformen suchen: Wenn Singen Sprechen, Brabbeln, Murmeln, Aufschrei, schließlich Ein- und Ausatmen wird. Wenn die vier Blechbläser mal weniger blasen als vielmehr am Mundstück ihrer Instrumente Lippenakrobatik und dazu Laute aus Rachen und Kehle vollführen. Die Vielzahl der Ton-, Klang- und Geräuschproduktion im Saundersschen Musikkosmos ist schier unendlich. Und unleugbar: Es ist Musik, was dort aus Kehlen und Instrumenten der neunzehn Solisten und der Sopranistin unter dem Dirigenten Enno Poppe produziert wird. Allerdings Melodisches und Rhythmisches werden sich hier nicht so leicht finden lassen. Denn
„Saunders arbeitet konzentriert am einzelnen Ton und dabei mit der Klangqualität unterschiedlicher Instrumente, lässt Töne der einen von anderen aufnehmen, in ihnen aufgehen, sodass die eigentliche Quelle der Klangerzeugung hinter dem Klang selbst verschwindet.“ (taz, 15.09.2017)
Glücklich beglückwunscht Rebecca Saunders das Orchester
Dabei entsteht ein fast körperlich spürbares Soundgewebe, das mich – ich kann´s nur so´n bissken kitschig sagen – in die Gefilde der Musik entführte. Wunderschön im Detail beschrieben:
„Eigentümlich heisere Klänge oft von falsettierender Bassflöte oder Bassklarinette. Gestopfte Trompete kann sich wie ein Firnis darüber legen, ein Pochen der großen Trommel hindurchtönen aus einer entlegenen Ecke des Raumes. Häufiger noch lässt sich in dieser Aufführung ein Klang kaum mehr orten. Wo kommt er her, welche Instrumente erzeugen ihn? Rebecca Saunders’ Reichtum an klanglichem Vokabular ist dabei überwältigend. Dass sie dieses Vokabular gemeinsam mit den Musikern des Ensembles entwickelte, trägt entschieden zur klanglichen Schönheit bei. Es sind die persönlichen Klänge der Musiker.“ (FAZ, 11.09.2017)
All das aber wird erst ermöglicht durch die jeweils konkret durchdachte Architektur der Raumklangwirkungen, die 2016-18 in Berlin und Paris oder bei der britischen Erstaufführung ganz andere waren als jetzt in dem langgestreckten Hallenbau der Galerie in den Herrenhäuser Gärten. Erst daraus ergibt sich die jeweils spezifische Idee für die Polyphonie des Werkes in Raum und Zeit. Und hier waren es an die zehn über den gesamten Raum von vorn nach hinten, oben und unten verteilte Podeste, die die einzelnen Orchesterabteilungen des Ensembles Musikfabrik neben der zentralen Bühne in unterschiedlichen Momenten und Formationen bezogen. Wie es die Komponistin beabsichtigte: „Durch die Bewegung des Klangs wird der Raum selbst zum Resonanzkörper“.
Und am Ende – war das nun das Ende, ist schon Schluss? – die Sängerin auf der Bühne im Spotlight bewegungslos, schweigend, gefühlt minutenlang. Nichts regt und bewegt sich. Stille, hochdramatisch. Dann Applaus!
Dirigent Enno Poppe und die Komponistin
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