Neue Ausstellung in der Kunsthalle Rostock: „Erich Kissing und Kerstin – Maler und Modell“. Vorgestellt wird das Lebenswerk eines eher unbekannten 74jährigen Künstlers mit Dutzenden großformatiger Akte. Künstlerisch eigentlich nichts wirklich Informationswürdiges. Wäre da nicht im Titel, vor der Presse und am Eröffnungsabend sogar leibhaft anwesend: Modell und Muse Kerstin.
Überdies bekommt das Rostocker Kunstereignis dann auch noch eine besondere Note aus der weiten Welt: Empörung über und Anprangerung von Diskriminierung, Gewalt und Machtmissbrauch, zugespitzt und gebündelt in #MeToo.
Deren eigentliche Partnerin im Geiste trägt den Namen politische Korrektheit. Nun wirkt die jetzt aber leider immer häufiger unpässlich, kontraproduktiv und, wo sie sich dogmatisch geriert, sogar erziehungsdiktatorisch. Und scheut nicht davor zurück, nun sogar eine neue Kunstdoktrin aufzustellen. Der Hellersdorfer Weg (natürlich eine Anspielung!) will Kunst nur noch gelten lassen, wenn sie sich antisexistisch, -rassistisch, -klassistisch, -lookistisch, -ageistisch und antiableistisch gibt. (Kein Karnevalsscherz).
Und dahinein platzt nun diese Rostocker Ausstellung, die pikanterweise schon im Titel den Malermann und sein Modellweib ins Zentrum stellt, die blonde Kerstin, seit zwanzig Jahren der Liebling unter seinen Modellen. Eine pure Provokation diese Kissing-Kerstin-Show? Als wäre an der Ostsee noch gar nicht angekommen, was anderswo passiert. Wo immer öfter Nacktheiten und allgemein Genderverdächtiges (ungeachtet jeder historischen Periode und künstlerischen Qualität) unter Verdacht gestellt werden: da von Männern gemalt, vom voyeuristischen Blick eingefordert, ihm ausgeliefert, zum Objekt degradiert.
Also dann vielleicht doch eher so: einfach alles abhängen und ins Archiv damit, lang geplante Ausstellungen absagen? Und wo dies noch nicht möglich, wenigstens einen pädagogisch wertvollen Begleittext neben das betreffende Kunstwerk? Will so künftig ignoriert werden, dass ein Werk und seine Rezeption immer auch zeitgebunden sind?
In Manchester schickt die Kuratorin der Städtischen Galerie ein eher mediokres Bild wegen einer Handvoll barbusiger Jungfrauen in die Verbannung und überlässt die museale Leerstelle nun einem Wandzeitungsforum. Kommunikativ und demokratisch das? In Berlin wird das Gedicht über Alleen, Frauen und einen Bewunderer an der Außenwand der Hochschule kurzerhand übermalt. Irgendwo noch echte Auseinandersetzung mit der Ästhetik von Kunst und Lyrik? Wahrlich kulturrevolutionäre Zeiten. Begleitmusik zum Fünfzigsten der 68er?
Wären da doch die Rostocker Akte weniger traditionell und die „Spitzpinselmalerei“ (kuratorialer O-Ton) nicht ganz so brav und bieder. Ästhetischer Mehrwert gleich null. Auch weil all die hübschen Nackten in ihrer puren Ausdruckslosigkeit einen gewissen Ennui erzeugen. Gleichfalls ihre Ausflüge in kaum wirklich originelle surreale Szenarien. Kunst also reduziert auf Künstlichkeit.
Der Argwohn, dass es bei Kissing Kerstin vor allem um den Eventcharakter geht, bestätigt sich hier ebenso wie beim Hype um die künstlerisch enttäuschende Picasso-Ausstellung 2014 in Bremen. Damals diente als Aufmacher Sylvette, das Brigitte Bardot nicht unähnliche Modell des Malers aus dem Jahre 1954.
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